Leseprobe Kristalle - ELW-Verlag

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Leseprobe: Fatum Die Kristalle

... Das Fluggerät  nimmt eine dramatische Schräglage ein. Der Abstand zum Eis beträgt etwa  einen Meter. Der bis zum Stehkragen mit Kerosin gefüllte Hubschrauber  kratzt mit einer Kufe, unmittelbar vor den drei Menschen über den  Gletscher.

In dieser Situation hätten auch die Violetten nicht  mehr reagieren können, denn ihre Konzentration galt anderen Dingen. Die  Hubschrauberblätter zischen dabei nur einige Zentimeter über die Köpfe  von Wegener und seinen Schülern hinweg. Es wäre beinahe eine  Dreierköpfung geworden. Die Moräne ist nicht mehr weit weg. Die Maschine  führt noch einen kleinen Steigflug durch, um dann mit Geräuschen, als  wollte die Welt untergehen, in die Hangkrone der Moräne krachend  einzuschlagen. Die Blätter fliegen schwirrend durch die dunkle Bergwelt.  Eines kracht an die Felswand und fällt mit knirschenden metallenen  Geräuschen und Funken sprühend Richtung Gletscher, das andere  Flügelblatt benimmt sich wie ein überdimensionaler Speer und gräbt sich  etwa zwei Meter vor die Füße von Matthias in den eher lockeren Schotter  des Moränenhanges ein. Das geht alles so schnell, dass kaum Luft zum  Atmen bleibt. Da hätte wohl auch Metel kaum noch helfen können.

Matthias,  der im Begriff ist, den Moränenhang von der anderen Seite wieder  hinaufzuklettern, hat den größten Teil des Dramas gar nicht mitbekommen.  Aber der Einschlag des Helikopters über seinem Kopf, die gewaltige  Detonation des explodierenden Kerosins sagen ihm auch ohne Metel, was  passiert sein muss. Er liegt wieder flach auf dem Boden und sieht sich  das vor ihm steckende Hubschrauberblatt an. Seine Augen verfolgen das  wippende Ende des Blattes. Es bewegt sich wie ein sich im Winde  wiegendes Schilfrohr. Wahrscheinlich braucht es noch einen Augenblick,  bis es die Bewegungsenergie abgebaut hat, geht ihm vollkommen  überflüssigerweise durch den Kopf und weiter denkt er sich, dass es wohl  besser wäre, wenn aus ihm ein Maulwurf wird. Wie oft er in den letzten  Stunden in Dreck, Staub und Felsen gelegen hatte, kann er kaum noch  nachvollziehen. Er springt auf, läuft so schnell es geht den Rest  Hangs hinauf und sieht sich die glühenden, noch brennenden Überreste des  Hubschraubers an. Keine Chance, hier hat keiner überlebt, sagt er sich.

Matthias  beginnt richtig zornig zu werden. Wie hat sich sein Leben in den  letzten Stunden verändert. Das war richtig Krieg. Was wollen diese Wesen  auf der Erde? Woher kommen sie? Warum zerstören sie alles? Warum  vernichten sie Menschen?

Jetzt fällt ihm auch ein, dass eine  Klassenkameradin gefehlt hat, die er nicht bei den anderen gesehen  hatte. Sein Lehrer, ein ganz toller Mann, jetzt plötzlich ein Ungeheuer,  dem Menschenleben nichts bedeuten. Was hat man mit ihm gemacht?  Verzweiflung durchströmt ihn.

Metel  schaltet sich ein. „Hallo Matthias, nicht in Mutlosigkeit und Trauer  versinken. Es nützt nichts, wenn du dich in eine fast wohlverdiente  Depression zurückziehst. Darf ich dich ein wenig unterstützen?“

„Nein“,  klingt es trotzig zurück. „Du willst ja nur dich selbst retten und  benutzt mich. Wenn ich dir alles gegeben habe, dann wirfst du mich weg  wie einen alten Socken. Wer garantiert mir, dass ich dir vertrauen kann?  Keiner“, antwortet Matthias sich sofort selbst. „Was wollt ihr nur auf  dieser Welt? Warum lasst ihr uns nicht in Ruhe?“ Aus seinem Mund kommt  ein Schrei, während seine Hände an den Kopf fassen: „Ich will allein  sein! Verschwindet alle!“

Er setzt sich auf den Boden, neben die  flackernde Reste des Hubschraubers. Unerträglicher Qualm des brennenden  Kerosins reizt seine Atemwege und die Lungen. Matthias hustet, steht auf  und stolpert ein paar Meter weiter, um aus den Rauchschwaden  herauszukommen.

Metel lässt ihm freien Lauf in seinem Handeln und Denken. Eingreifen würde er nur, wenn sich Matthias selbst schaden würde.

Matthias wollte  verzweifelt und wütend sein, sich hinsetzen, fluchen, weinen, aufstehen  an Steine treten, den Kopf in den Sand stecken, in ein Schneckenhaus  kriechen und dort sich in sich selbst verlieren. Mit brennenden,  tränenden Augen blickt er in die verkohlten und glühenden Trümmer des  Hubschraubers. Er steht unbeweglich da und starrt. Nur an den zuckenden  Gesichtsmuskeln, die leichte Bewegungen im Gesicht von Matthias  hervorrufen, kann man sehen, dass er noch lebt. Oder sind es nur die  Lichtspiele, hervorgerufen durch die Feuer aus dem Wrack, die dies  vortäuschen? Matthias fühlt, dass er Metel unrecht tut. Er will  allerdings im Augenblick böse und destruktiv denken. Das tut ihm gut.  Nach einer kurzen Zeit wildester Vorwürfe und Spekulationen beruhigen  sich langsam seine Nerven. Ein wenig Gelassenheit kehrt wieder in sein  Denken ein. Eigentlich ist alles, was Metel bisher getan hat, in sich  schon der Beweis, dass er nicht vernichten will, denn das hätte er schon  längst tun können. Ohne ihn hätten er und seine Freunde gar nicht  überleben können. Dass Metel fähig wäre ihn zu führen bzw. seinen Geist  zu unterjochen, wie es die Violetten mit Wegener und seinen  Schulkameraden getan haben, ist ihm mittlerweile bewusst. Er bemerkt,  dass Metel sich in der jetzigen Situation aus seinen Gedanken fernhält.  Er kann sogar fühlen, dass er noch nicht einmal mithört. Metel hat sich  total eingeigelt. Er benimmt sich wie ein guter Freund, der merkt, dass  der andere allein sein will und respektiert diesen Wunsch.

„Hallo Metel ..., ich möchte dich sprechen.“

Die  sympathische Gedankenstimme von Metel taucht im Bewusstsein von  Matthias auf. Er geht nicht auf die Dinge ein, die Matthias ihm gesagt  hatte, bevor er sich, gemäß dem Kodex seiner Spezies, zurückgezogen  hatte.

„Ja Matthias?“

„Ich möchte, dass du mir hilfst.“

„Ja, sofort.“

Ohne  einen weiteren Kommentar beginnt Metel die psychischen  Belastungsmomente, die das Denken von Matthias überlagern, sukzessive zu  verringern. Weder löscht er Erinnerungen noch verbiegt er Empfindungen  oder bringt gar neue Bilder in das Denken ein. Er relativiert lediglich  das Befinden. Die düsteren Bilder verschwinden somit nicht vor den  dunklen, fast schwarzen Augen von Matthias, er nimmt ihnen jedoch die  Brisanz und somit verlieren sie einiges an Schrecken. Seine Gedanken  können sich wieder den Vorgängen auf dem Gletscher widmen. Sein Blick  wandert vom glühenden Helikopter den Hang hinunter. Den  zweiten Hubschrauber scheinen die Violetten ganz gut in den Griff zu  bekommen. Metel will nicht mehr einschreiten, um nicht noch mehr Leben  zu riskieren. Obwohl er und auch Matthias nicht sicher sind, ob die  Besatzung das überleben wird. Dieser Pessimismus ist ihrer Meinung nach  angebracht.

Gespannt verfolgen sie von ihrem Aussichtspunkt das  weitere Geschehen. Der Hubschrauber geht in den Schwebeflug über und  bleibt ein paar Zentimeter über dem Gletschereis stehen. Die Türen gehen  auf. Eine Person streckt den Kopf heraus. Sie wird brutal von Wegener  am Kragen herausgezogen und auf das Eis geschleudert. Das Gleiche  geschieht mit einer zweiten Person, wohl einer der Piloten. Die drei  verschwinden in dem Hubschrauber. Die beiden Personen auf dem Eis  bleiben regungslos liegen. Die Tür geht zu, um jedoch nach kurzer  Zeitspanne noch mal aufzugehen. Wegener  schiebt den Kopf heraus, seine grollende Stimme, die fast nicht mehr zu  erkennen ist, übertönt den Lärm des Fluggerätes. Sie füllt das  Gletschertal und bricht sich an den Felswänden, während der Hass von  Ithes aus den Augen von Wegener sprüht. Das ist sowohl für Metel als  auch für Matthias erkennbar. Die Augen von Wegener scheinen mit  glühender Lava gefüllt zu sein. Matthias fühlt regelrecht den  ausströmenden Hass. Leichte Schweißperlen erscheinen auf seiner Stirn.  „Metel, wenn du noch existieren solltest, was ich dir nicht gönne, werde  ich dich das nächste Mal töten. Deinem Wesen rate ich zu verschwinden.  Ich weiß, wer er ist und werde ihn verfolgen. Er wird ebenfalls getötet,  es sei denn, er schmeißt dich raus. Ich töte euch!“ Dröhnendes Lachen  dringt aus dem Munde von Wegener, dann fällt die Tür des Hubschraubers  zu.

Matthias läuft es eiskalt den Rücken herunter. Er ist sich  nicht klar darüber, ob dies von der Stimme seines Lehrers kommt oder von  der Kälte, die ihn umgibt oder gar von der Gefahr, die spürbar mit den  Worten Wegeners in seine Sinne getragen wurde. Seine Empfindungen  scheinen Achterbahn mit ihm zu fahren. Vor ein paar Minuten noch  Gefühlsanwandlungen, die ihm den Schweiß auf die Stirn getrieben haben.  Jetzt friert er...


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